Leinen war nicht zwangsläufig billiger als Wolle! Es steht im Anbau in der Konkurrenz zum Nahrungsmittel Getreide. Schafe weiden auch auf Grund, der zum Anbau nicht geeignet ist.
Ein klassisches Argument, das man oft hört und teilweise ist auch was dran. Aber ich habe mir da mal einige Abgabeordnungen / Kapitularien angesehen (Frühmittelalter halt wieder, karolingisch um genau zu sein), in denen festgelegt wurde, was/wieviel die Leute an das örtliche Kloster abgeben mussten. Dabei fiel mir auf, dass beim Leinen bzw Flachs - es mussten teilweise fertige Stoffe abgegeben werden, teilweise auch nur gesponnener Flachs - die Vokabel "sammeln" verwendet wird, nicht etwa "ernten". Das lässt darauf schließen, dass Flachs nicht notwendigerweise angebaut werden
musste, um an ihn zu kommen. Das ist aber insofern zu hinterfagen, da Flachs zumindest heutzutage kaum verwildert vorkommt, was wohl darauf zurückzuführen ist, dass er als Jungpflanze eher konkurrenzschwach ist. Wie dem auch sei, um signifikante Erträge zu erzielen, muss er gezielt angebaut werden und offenbar wurde er das schon von den Germanen im größeren Stil, wie aus den Beschreibungen von Plinius und Tacitus zu schließen ist. Leinen ist durch die mittelauropäische Geschichte hindurch so allgegenwärtig, dass man die These von der Kostbarkeit (durch Nahrungskonkurrenz) skeptisch hinterfragen muss. Wenn das Zeug so teuer war und die Nahrungsversorgung so stark beeinträchtigte, warum war es dann so allgegenwärtig? Zuerst würde das Konkurrenzargument ja voraussetzen, dass Getreide und Flachs dieselben Böden belegen würden. Das tun sie aber nicht unbedingt. Roggen, das seit dem FMA in Mitteleuropa verbreitetste Getreide, ist im Vergleich zum Flachs deutlich anspruchsloser was Trockenheit und Kälte betrifft. Der Flachs ist dagegen beim Boden toleranter. Die beiden treten also beim Anbau nicht zwingend in Konkurrenz zueinander. Auch berücksichtigen muss man den Umstand, dass beim Anbau von Kulturen der Boden auslaugt sowie sich Erreger von Pflanzenkrankheiten anreichern können, weshalb eine Fruchtfolge einzuplanen ist. Was im Mittelalter auch bekannt war und praktiziert wurde (zuerst Zweifelderwirtschaft, mit Beginn der Karolingerzeit dann zunehmend Dreifelderwirtschaft). Man kann nicht jedes Jahr immer wieder auf einem Feld Getreide anbauen. Es macht also sogar Sinn, zwischendurch mal Flachs anzubauen. Als beste Vorfrucht für den Flachs gilt heutzutage übrigens Saat-Hafer. Wobei jedoch, das muss man anmerken, in den Fruchtfolgevorschriften des Mittelalters üblicherweise die Reihenfolge Wintergetreide - Sommergetreide - Hackfrüchte oder Brache zu finden ist. Namentlich taucht hier der Flachs nicht auf, allerdings ist der Begriff der "Brache" dehnbar. Dass Leinen teurer ist als Wolle ist also wohl eher weniger auf direkte Nahrungsmittelkonkurrenz zurückzuführen. Leinen kann auch aus ganz anderen Gründen teurer sein als Wolle. Zum Einen ist Flachs schlicht deutlich aufwendiger zu verarbeiten als Wolle. Und dass etwa in Island Leinen viermal so teuer war wie Wolle, mag daran liegen, dass
dort die klimatischen Voraussetzungen für den Anbau von Flachs, der ja grundsätzlich eine mediterrane Pflanze ist, die weder Staunässe noch kurze Tage noch Spät- oder Frühfröste mag, suboptimal sind.