Fifill
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Hier nun die Fortsetzung zu meinem Diskussionsbeitrag zum Phänomen "kämpfende Frauen im Mittelalter" (Teil 1): Diesmal möchte ich die Frage beleuchten, ob Frauen im Mittelalter tatsächlich nur in Notsituationen gekämpft haben, wie vielfach – auch in den diesbezüglichen Threads hier im Forum – behauptet wird. Wiederum stütze ich mich dabei schwerpunktmäßig auf den Artikel "The woman warrior: gender, warfare and society in medieval Europe" von Megan McLaughlin (erschienen in "Women's Studies", vol. 17, 1990, p. 193-209). Auch McLaughlin räumt ein, dass die Mehrheit der in den Quellen belegten Fälle von kämpfenden Frauen im Kontext von Notsituationen auftauchen. Waren diese überstanden, so wurde erwartet, dass die Frauen wieder in ihre angestammte Rolle zurückkehrten. McLaughlin merkt jedoch an, dass auch diese Fälle aufschlussreich sind, da sie auf ein gewisses Maß an "militärischer Einsatzbereitschaft" auf Seiten der weiblichen Bevölkerung schließen lassen. Ihr Hauptaugenmerk legt McLaughlin jedoch auf jene Fälle, in denen Frauen sich wiederholt oder über eine lange Zeitspanne an kriegerischen Auseinandersetzungen beteiligten und dabei ihre eigenen Ziele verfolgten. Einen möglichen Komplex solcher Fälle lokalisiert McLaughlin im wikingerzeitlichen Skandinavien und bezieht sich dabei einerseits auf spezifische Berichte von kämpfende Frauen (Laghertha, Rusila) aus der "Gesta Danorum" des Saxo Grammaticus, für die es Anhaltspunkte gibt, dass sie auf tatsächlich existierende Personen zurückgehen. Darüber hinaus verweist sie (bereits im Jahr 1990!) auf die zunehmende Anzahl archäologischer Grabfunde von Frauen, die mit Waffen bestattet wurden. Dazu sei kurz eingeschoben: Nicht erst seit der "Schildmaid von Birka" wird die Interpretation derartiger Grabfunde heiß diskutiert und berechtigterweise darauf hingewiesen, dass Grabbeigaben für sich allein genommen nicht ohne weiteres als Spiegelbild der bestatteten Person zu Lebzeiten angesehen werden dürfen. So weit mir bekannt ist, dauert die wissenschaftliche Diskussion hinsichtlich derartiger Funde und möglicher Rückschlüsse auf "kämpfende Wikingerfrauen" oder gar "Wikingerkriegerinnen" zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch an. Das bedeutet jedoch auch, dass die Existenz solcher Frauen durchaus im Bereich des Möglichen bis Wahrscheinlichen liegt und nicht einfach ausgeschlossen werden kann. Weitere Fälle lokalisiert McLaughlin im nördlichen Europa zwischen dem 9. Und 10. Jahrhundert und führt als Beispiel Aethelflaed, "Lady of the Mercians", an, die nach dem Tod ihres Ehemanns im frühen 10. Jahrhundert Mercia regierte und gegen die Dänen verteidigte. Die diesbezüglichen Schriftquellen deuten darauf hin, dass sie die Feldzüge gegen die dänischen Eindringlinge nicht bloß von zu hause aus dirigierte, sondern persönlich daran teilnahm. Eine noch größere Ansammlung von Fällen findet sich in Südfrankreich und Catalonien, wo Adelsfrauen nicht nur an den Kriegszügen ihrer Ehemänner teilnahmen, sondern sogar ihre eigenen Burgen besaßen und mit eigenem Gefolge sowohl defensiv als auch offensiv Krieg führten. Als Beispiele führt McLaughlin die lombardische Prinzessin Sichelgaita und Adelheid von Susa, Markgräfin von Turin, an, beides Fälle aus dem 11. Jahrhundert. Bei überproportional vielen der Frauen, die eine kriegerische Karriere einschlugen, handelte es sich um adelige Witwen. Seitens einer Witwe wurde ein derart anomales Verhalten offenbar als weniger unangebracht wahrgenommen als bei anderen Frauen, selbst noch im späteren Mittelalter. Oftmals ging es dabei um die Verteidigung der Interessen der eigenen Kinder, wie im Fall von Blanka von Navarra, Gräfin von Champagne, aus dem 13. Jahrhundert. Einige Witwen führten hingegen auch in eigener Sache Krieg, wie die Beispiele von Theresia von Portugal, Richilde von Hennegau oder der Witwe von Arnold II. von Guines zeigen. Andere übernahmen die militärischen Verpflichtungen ihres verstorbenen Gatten. So hatten beispielsweise im späten 12. Und frühen 13. Jahrhundert in England mehrere Witwen das Amt des Sheriffs inne, welches administrative und militärische Pflichten beinhaltete. Zumindest einige von ihnen kamen ihren Verpflichtungen persönlich nach, wie etwa Nicole de la Haye, die als Sheriff von Lincoln eine entscheidende Rolle in der Belagerung von Lincoln im Jahre 1217 spielte. Schließlich erwähnt McLaughlin noch Fälle von Frauen, die aus Glaubensgründen oder für die Kirche in den Krieg zogen, wie Beispielsweis Mathilde von Canossa im späten 1. Jahrhundert, sowie eine Anzahl von Frauen, die an der Seite der männlichen Kreuzfahrer – und manchmal in männlicher Verkleidung – auf den Schlachtfeldern des Mittleren Ostens kämpften. Wie schon in Teil 1 meines Diskussionsbeitrags zum Phänomen "kämpfende Frauen im Mittelalter" gesagt, bin ich nach wie vor der Ansicht, dass kämpfende Frauen im mittelalterlichen Europa eine Ausnahmeerscheinung waren und nicht die Regel. Doch scheinen diese Ausnahmen weniger selten gewesen zu sein als zumeist angenommen und waren mitnichten nur auf Notsituationen beschränkt. Unter gewissen Umständen war es für einzelne Frauen offenbar möglich, die Grenzen der Geschlechterrollen zu überwinden und in der ur-männlichen Domäne der Kriegsführung Fuß zu fassen. Wiederum würde mich sehr interessieren, ob euch weitere Beispiele von Frauen bekannt sind, die belegbar an kriegerischen Auseinandersetzungen teilgenommen haben und in welche Kategorie sie sich einordnen lassen:
- Frauen kämpfen in einer Notsituation
- Frau kämpft für die Interessen ihrer Kinder
- Frau kämpft für ihre eigenen Interessen
- Witwe übernimmt die militärischen Verpflichtungen des verstorbenen Ehemanns
- Frauen kämpfen aufgrund ihres Glaubens
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