Ich möchte die Diskussion zu passenden Gugeln der Wikingerzeit neu eröffnen. Dazu habe ich als Belege auch sehr viele Zitate aus dem Werk Inga Häggs von 1991 und 2015 gesammelt, sowie aus Dan Løvlids Werk, würde diese aber in privater Konversation weitergeben, da ich nicht 100% sicher bin, was die Forenkonventionen für Zitate aus Büchern sagen, die man nicht einfach online verlinken kann, wenn sie klar und deutlich mit Urheber und Werk gekennzeichnet sind. Was sagt der
@Hermann dazu?
Für alle mit wenig Zeit/alle Lesefaulen: tl;dr
- Die Skjoldehamn-Gugel ist definitiv eine Gugel, könnte aber aus einem nicht-nordischen Kulturkreis (samisch) stammen und wird ins späte 10./frühe 11. Jhd. datiert (lt. neusten C14-Untersuchungen). Die Kleidung vom Skjoldehamn-Fund weist sowohl samische, als auch nordische Stylemarker auf, Dan Løvlid (aktuellste Forschung) argumentiert eher für die samische Herkunft. - Das Haithabu-Fragment S3 gehört nicht zweifelsfrei zu einer Gugel, es sprechen aber einige Dinge dafür. Sie wird auf die Wikingerzeit (2. Hälfte des 9. Jhd.) datiert. Ist das Fragment eine Gugel oder Teil eines kürzeren Mantels (vgl. andere Haithabu-Mantelfunde), so hat sie einen Zipfel. - Es gibt aus dem späteren nordischen Umfeld (ab dem 13. Jhd.) eine Gugeltracht (Herjolfsnes auf Grönland, Bocksten in Schweden) inkl. Keilen und Zipfeln, die mit den Fragmenten aus Haithabu und Schleswig formlich verglichen werden kann. - In benachbarten Kulturkreisen, mit denen Skandinavier Kontakte hatten, sind für das Frühmittelalter Kapuzen nachgewiesen, beispielsweise die Orkney-Gugel (piktisch) oder eine rechteckige Kapuze nach einem Fund aus dem baltischen Siedlungsraum (Kuren). - Ich bin der Meinung: für die Rehabilitierung der Haithabu-Gugel (auch als Kurzmantel) und ihre verstärkte Einsetzung für Ostseeraum-Darstellungen (siehe Vergleich gotländische Bildsteine), da besser passend als evtl. samische Gugel aus dem fast arktischen Raum Nordnorwegens. Wir können für den Bereich, den die meisten von uns darstellen/bespielen, von grob zwei Funden ausgehen: der Skjoldehamn-Gugel und dem Haithabu-Fragment S3, das als Gugel gedeutet wurde. Warum drücke ich das so umständlich aus? Weil es vor allem die Interpretation von Inga Hägg war (Die Textilfunde aus der Siedlung und aus den Gräbern von Haithabu, Die Textilfunde aus dem Hafen von Haithabu, Textilien und Tracht in Haithabu und Schleswig), die zur Annahme führte, dass ein Fragment mit diversen Nähten einen Teil einer Kapuze/Gugel darstellt. Näheres dazu im Abschnitt zur Haithabu-Gugel. Zunächst zur Skjoldehamn-Gugel. Dieses gut erhaltene Kleidungsstück kann ziemlich zweifelsfrei als Gugel eingeordnet werden, fehlen doch nur einie Stücke des vorderen Keils, da die Erhaltung im sumpfigen Gebiet der Lofoteninsel Andøya ausgzeichnet war. Der Fund ist laut neueren C14-Untersuchungen auf eine grobe Zeit um das Jahr 1000 datiert, jedoch ist bis heute nicht klar, ob die Person der nordischen oder samischen Ethnie angehörte. Dan Løvlid, von dem die wichtigsten neueren wissenschaftlichen Werke zum Fund geschrieben wurden (
Nye tanker om Skjoldehamnfunnet, 2009 und
Skjoldehamnfunnet i lys av ny kunnskap, 2010) argumentiert, dass weniger die genetischen, als die kulturellen Marker die Zugehörigkeit zu einer Ethnie festlegen und schließt darum nicht aus, dass die Person zu den Sami gehören könnte. Er untersucht dazu die historische Tracht verschiedener samischer Völker und kommt zu dem Schluss, dass die Übereinstimmungen (Streifenkragen, Farben, Schuhe, Ziertechnik, Fußborten, Kragenform, ...) so groß sind, dass diese nicht zufällig sein können und daher samisch als ethnische Zugehörigkeit nicht ausgeschlossen werden kann. Die Bindung der Stoffe (2/2 und 2/1-Köper) lässt sich im samischen Kulturkreis nicht nachweisen, er argumentiert jedoch, dass, da der Besiedungsraum der nordischen und samischen nordnorwegischen Bevölkerung dort nah aneinander lag, es möglich wäre, dass Textilien nordischen Ursprungs zu einer samischen Tracht verarbeitet wurden. Løvlid nimmt höhere Übereinstimmungen mit den Lule Sami, als mit den Nordsami an, mit denen Gutorm Gjessing den Fund verglichen hat. Die Skjoldehamn-Gugel könnte auch grob zu einem Typus der "arctic hood", also einer sich durch verschiedene Kulturen nördlich des Polarkreises Form von Schutztracht, gehören, wobei man dort einen längeren Mantel mit Kapuze tragen würde. Untersuchungen der im Fund erhaltenen Gene können aufgrund der damals schlechten Technik heute als überholt bzw. ungenau gelten,dementsprechend ist die Ethnie aus der genealogischen Perspektive weiterhin unklar, ebenso wie das Geschlecht. Gjessing, der erste Historiker/Arktisforscher, der sich mit dem Fund beschäftigte, ordnete die Person aufgrund der Hose als männlich ein (Hosen im nordischen Bereich männlich konnotiert), bei den Sami wäre jedoch definitiv beides möglich, da die historische Tracht auch Hosen für Frauen vorsieht. Wenn man sich die Schnittrekonstruktion anschaut, wundert man sich allerdings doch über die Kombination aus der geringen Länge und der extremen Breite bei geradem Schnitt (keine Pluderhose). Daraus könnte man schließen, dass es zumindest eine sehr kleine und relativ breite Person war.
Meine eigenen Nachforschungen/Einschätzungen haben ergeben, dass die Tracht von Skjoldehamn Ähnlichkeiten (Kragenform, Stoffbindungen, gewebte Streifen) zu einer minimal später eingeordneten Tracht aus Mittelnorwegen (Kirchenfund von Guddal am Sognefjord aufweist), die aus dem schon christianisierten nordischen Umfeld stammt. Marianne Vedeler führt diese Ähnlichkeiten in
Klær og formspråk i norsk middelalder (2006) genauer aus.
Also, ganz kurz: wir wissen es nicht. Wer eine Skjoldehamn-Gugel trägt, muss sich bewusst machen, dass er sich kleidungstechnisch evtl. im falschen Kulturkreis bewegt. Aber immerhin war es definitiv eine Gugel. Das Fragment S 3 aus der Siedlungs von Haithabu, datiert auf die 2. Hälfte des 9. Jhd., ist als Gugelinterpretation umstritten. Bilder vom Fragment könnt ihr hier anschauen:
http://www.rosieandglenn.co.uk/TheLibrary/Costume/CnTGuides/Viking/HedebyHood.htm (Quelle:
www.rosieandglenn.co.uk) Inga Hägg führt 2015 in
Textilien und Tracht in Haithabu und Schleswig auf den Seiten 58f. und 253f. folgende Gründe an, die für die Gugel-Interpretation von Fragment S3 sprechen: - Was ist sonst mit dem Zipfel? Eine alternative Interpretation wäre z.B. eine halbe, zerschlissene Tunika eines Kleinkindes, jedoch spräche dagegen die extrem dicke (1 cm) Naht am Ärmel, die die Bewegung eines Kleinkindes arg einschränken würde. - Die S3-Kapuze hat, wenn sie eine solche ist, einen Zipfel. Anhand der Form dieses Zipfels lassen sich Parallelen zu durch Nørlund untersuchte Gugeln aus Herjolfsnes (Grönland, 13./14. Jhd) ziehen (insbesondere Textil Nr. 65, dem frühesten Fund, ), das neue Schleswiger Fragment eines Zipfels aus dem 11. Jahrhundert, welches die Gugel-mit-Zipfel-These stützt wiederum eher zu Bocksten in Schweden (14. Jhd) und späteren Grönland-Gugeln. - Gefundene Gesichtsmasken aus Haithabu mit Nahtlöchern könnten an Kapuzen befestigt gewesen sein, was für die Existenz von Kapuzen spricht. - Gotländische Bildsteine (insbesondere der Lärbro-Stein) aus dem 8./9. Jhd. enthalten Darstellungen von Menschen mit langen Zipfeln an den Kopfbedeckungen, im Gegensatz zu Menschen, die auf dem gleichen Stein mit rundem Scheite dargestellt sind. - Aus Haithabu sind andere Elemente einer Schutztracht (Lodenwams, Schultermäntel, Mantelüberwurf) vorhanden, die Gugel wäre vor allem aufgrund des sehr dichten und stark gerauhten Lodenstoffs als Schutztracht zu deuten.
Also, auf den Punkt gebracht: die Fragmente aus Haithabu und Schleswig sind sowohl mit früheren, als auch späteren Kapuzenkonzepten und Funden vereinbar und die Interpretation als Gugel macht zumindest für mich Sinn. Der Rahmen ist wikingerzeitlich und auch über Bildsteine mit dem sonstigen Ostseeraum vereinbar. Meine erste Idee, als ich mir das Fragment angesehen hab, war auch "könnte doch eine Kindertunika sein". Hägg kam auf die gleiche Idee, hält das allerdings für unwahrscheinlich. Ich habe mir auch diverse andere Schnitte (Hosenschnitte z.B.), die analog zu Haithabu empfohlen werden (Thorsberg, Damendorf, obwohl germanische Eisenzeit) angeschaut und konnte keine Schnittähnlichkeiten feststellen, obwohl ich öfter las, dass einige Leute das als Hose interpretierten. Das einzige Problem mit dem Ding: es ist sehr eng, wenn man die Naht am vorderen Ende des Fragments als Saumnaht sieht. Also haben einige Leute, die versuchten, sie zu rekonstruieren, den Mittelteil erweitert, so zum Beispiel Ollibert und Tordis hier aus dem Forum. Nachzulesen sind diese tollen Bemühungen übrigens hier:
Gugel nach Fund in Haithabu (Quelle: mittelalterforum.com) Sonstige im FrüMi: Die
Orkney-Gugel (piktisch, 250-615 n. Chr). Ich habe vor einem Jahr eine Rekonstruktion angefertigt und bemerkt, dass sie anders aufgebaut ist als alle anderen Gugeln, die ich bisher gefertigt habe. Für unseren Kulturkreis also nicht wirklich brauchbar, aber dennoch ein Beleg für die Existenz von Kapuzen/Gugeln im nordeuropäischen Frühmittelalter. Eine
kurische Kapuze aus einem rechteckigen Stoffstück mit Bändchen zum verschließen. Sie war mit Fell gefüttert, was auf eine Schutztracht schließen lässt. Eine bekannte rekonstruktive Abbildung stammt aus
Apģērbs Latvijā 7.-17. GS von Anna Zarina. Die Kapuze besteht aus einem zweifarbigen Karostoff in 2/2-Köperbindung.