Nur - was wäre nötig, um nicht in diese Falle zu tappen?
Das ist eine verdammt gute Frage. Einer meiner Sinnsprüche in der Arbeit lautet: "Lernen ist nicht das Auswendiglernen von Antworten, sondern das kluge Stellen von Fragen." Ich denke, in unserem Falle hier müsste die Lösung ähnlich sein. Wenn ich konstatiere, dass das Problem nicht bei einem einzelnen Symptom, nicht bei einer einzigen Ursache und nicht bei einer einzigen Gruppe liegt, sondern in einer Verknüpfung von vielen Übelständen, dann ist mir schon bewusst, dass man nicht alle Themen zugleich diskutieren und analysieren kann. Es ist also schon notwendig, sich mit einzelnen Teilbereichen zu beschäftigen. Zum Beispiel mit der Rolle der Kirche respektiver religiöser Sitten, Gebräuche und Gesetze. Aber man muss dabei stets im Auge behalten, dass es um eine möglichst objektive Analyse des Problems geht. Dabei müssen wir uns zu mehreren Dingen zwingen, die uns nicht leicht fallen. 1. Emotion stört. Sie verhindert Objektivität. Wer von einem Thema emotional sehr berührt ist, der sollte sich erst einmal darauf beschränken,dies als Facette des Problems zu benennen, also den Umstand, dass es Menschen gibt (ihn! Objektiv bleiben! nicht behaupten, andere auch, wenn man das nicht verlässlich weiß!), die dadurch belastet werden. Er sollte erklären was und warum ihn das belastet, aber eine fachlich/objektive Analyse des Themas sollte er zuerst einmal anderen überlassen. Seine Beiträge können darin liegen, zu klären, zu spezifizieren und Anmerkungen zu machen, wenn die Diskussion in eine Richtung verläuft, dass seine Sorgen und die Kernpunkte seiner Unzufriedenhiet missverstanden werden, aber eine objektive Auseinandersetzung mit der Sache ist ihm in der Wallung der Gefühle schwer möglich. Es wird sicherlich ein Punkt erreicht werden, an dem er erkennt, dass er nun emotional in der Lage ist, sich auch am objektiven Teil der Analyse zu beteiligen, aber vorher wird er fast zwangsläufig nur mehr oder weniger verkrampfte Allgemeinplätze beisteuern können. ("Es regt mich unheimlich auf, wenn Kinder so ausgebeutet werden, das wird es mit mir nicht geben!") Solche Äußerungen sind zwar verständlich, aber zur Analyse eines Sachverhaltes und zur Entwicklung von realistischen Alternativen und Lösungsansätzen schlicht nicht zielführend. Im Gegenteil: Sie torpedieren eine sachliche Auseinandersetzung mit der Sache regelmäßig, belasten die Diskussion und verhindern die objektiv-kreative Entfaltung von Geistespotential. Man beteuert sich regelmäßig selbst, dass eine Lösung gefunden werden muss, sucht aber keine. Im Ergebnis verkrampft die Diskussion immer mehr, bis der Nährboden für extremistischen Aktionismus bereitet ist. Viele Interessengruppen beeinflussen uns gezielt über unsere Emotionen. Wenn mir in der Fußgängerzone jemand ungefragt Bilder unter die Nase hält, von verwahrlosten Tieren, toten Menschen oder Folteropfern und mich auffordert, irgendwas zu unterschreiben, dann sage ich ihm, dass ich jetzt erst recht nicht unterschreibe, weil mich dieser Beeinflussungsversuch schwer verärgert und seine Organisation wegen dieser unseriösen, plumpen Taktik jetzt einen Gegner hat. Wer sich solcher Methoden bedienen muss, kann nicht seriös sein. Dummerweise lassen sich währenddessen hunderte andere dazu verleiten, zu unterschreiben. 2. Konsequent bleiben. Nicht die Meinung anderer vertreten, sondern seine eigene. Viele Probleme in dieser Gesellschaft wären nicht, wenn die Leute ihre echte Meinung (inklusive: "Ich habe keine"!) vertrten würden anstatt der Meinung, von der sie meinen, sie müssten sie haben. Das ist der Herdentrieb, man will unbewusst kein Außenseiter sein. In der Folge davon werden aber Meinungen unreflektiert als die eigene übernommen, von denen man meint, das sei die Mehrheitsmeinung. Deshalb funtkioniert die Manipulation von Gesellschaften ja so gut. Millionen von Menschen in diesem Land propagieren mehr oder weniger überzeugt Dinge, von denen sie eigentlich überhaupt keine Ahnung haben. Einfach, weil andere diese Dinge propagieren. 3. Dogmata erkennen. Nichts ist alternativlos, nichts ist einfach so, nichts tut man einfach nicht. Wer etwas nicht sachlich begründen kann, der schwadroniert lediglich. Auch wenn er behauptet, Experte zu sein. Eine Erklärung, die so verklausuliert ist, dass ich sie nicht verstehe, muss als ungültig gewertet werden. Viele Lügen der Geschichte waren und sind erfolgreich, weil sie in so wissenschaftlich klingende Worte gekleidet waren, dass niemand es wagt, sie anzuzweifeln. Wenn so schlaue Leute das sagen, dass ich nicht einmal verstehe, was die reden, dann muss es war sein, jedenfalls werde ich mir nicht die Blöße geben, als dumm dazustehen, wenn ich zugebe, das nicht kapiert zu haben. Wie bei des Kaisers neuen Kleidern. 4. Skeptisch bleiben gegenüber angeblichen Autoritäten. Wissenschaftler irrten sich schon unzälige Male und viele anderen Male standen sie in den Diensten von Interessengruppen. Viele, die behaupten Experten zu sein, sind gar keine. Statistiken sind fast immer einseitig zurechtgerechnet, je nach Absicht des Verwenders. (Ich empfehle die Lektüre des Büchleins "Lügen mit Zahlen", ISBN 978-3-453-17391-0, sehr erhellend und gar nicht schwer zu lesen, auch für Mathemuffel) 5. In die Tiefe gehen. Schnelle und einfache Lösungen sind fast immer falsch. Nach zwei Wortmeldungen ist ein Problem nicht ansatzweise analysiert. Alle Beeinflussungstechniken zielen ja gerade darauf ab, tieferes Nachdenken zu verhindern. Ob mit Schockbildern (s.ganz o.), mit "Expertenmeinungen" (s. gleich o.), mit Gruppenzwang (s. fast ganz o.) oder mit was auch immer. 6. Nicht vor schmuddeligen Themen oder unangenehmen Gedanken zurückschrecken. Nur, weil ich etwas nicht wahrhaben will, ist es noch lange nicht falsch. Nur weil mir etwas nicht gefällt, ist es noch lange nicht strafwürdig. Man muss sich bei manchen Themen zwingen, objektiv zu bleiben. Bleibe ich es nicht, werde ich nicht realistische und vernünftige Lösungen suchen, geschweige denn finden, sondern lediglich meine eigenen Instinkte befriedigen. Ich werde andere verurteilen, nicht weil sie schlecht sind, sondern weil ich sie nicht mag. Ich definiere als schlecht, was ich gerne als schlecht definiert hätte. Ich brandmarke Leute als Schuldige, die ich gerne als Schuldige hätte. 7. Gedissten Leuten oder Mitdiskutanten beispringen, auch wenn sie nicht die gewünschte Meinung vertreten. Es ist eine beliebte Tatktik, eine Diskussion, bei der man den kürzeren zu ziehen scheint oder bei der Argumente kommen, die man nicht widerlegen kann, durch anheben (oder senken, je nachdem, wie man das sieht) auf die emotionale Ebene zu beeinflussen bzw abzuwürgen. Gegner, man nicht sachlich widerlegen kann oder will, werden verunglimpft, diffamiert, kriminalisiert und mit billigen Scheinargumenten wie "findest Du das etwa gut!?" oder "du bist da ja wohl selber ..." oder ähnlichen Kalibern beschossen. Solche Elemente gehören umgehend von der gesamten Diskussionsgemeinschaft zurechtgewiesen oder aus der Diskussion ausgeschlossen. In der Realität sieht es leider eher so aus, dass sich die Vernünftigen, gemäßigten aus der Diksussion zurückziehen und diese in der Folge von den unseriösen Scharfmachern dominiert wird. 8. Philosophisch sein. Nicht das falsche Ergebnis ist das Problem, sondern der oder die Denkfehler, die zu ihm führten. Finde ich nicht den logischen, den Denkfehler, dann wird er immer wieder gemacht werden und man wird nie das richtige Ergebnis, die richtige Lösung finden. (Gilt übrigens auch für das schulische Lernen, nur so nebenbei erwähnt: Eine richtige Lösung hilft mir gar nichts, solange ich nicht verstanden habe, wie man dahin kommt.) Das sind jetzt mal so spontan 8 Punkte aus vielen. Grundsätzlich ist das Problem die mangelnde, unsachliche, oberflächliche und vorentschiedene Diskussionskultur in unserer Gesellschaft wie auch in der dazugehörigen Politik. Da muss man ansetzen.