Von "Kaptorga - Visual History": Rekonstruktion und Anachronismen (kann ich die Ausrüstung meines Opas noch verwenden?)

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Ich vermute da eine typisch neuzeitliche und dabei ganz besonders typisch deutsche Eigenart: Man muss sich "eindeutig positionieren" bzw "klare Kante zeigen". Ein Extrem ("ey, das ist ein Erbstück von den Ahnen, das in meiner Familie seit 300 Jahren in Ehren gehalten wird!") wird hierzulande mit einem diametral entgegengesetztes Extrem gekontert ("Nein, hat es nie gegeben, ist absolut untragbar"), mit dem Ergebnis, dass eigentlich alle irgendwie Unrecht haben.
Wobei es meiner sehr subjektiven Meinung nach auch darauf ankommt worum es sich handelt. Bei dem berühmten Erbstück kann ich es mir noch (!) vorstellen,dass jemand im 15.Jahrhundert (als Bürger) z.B. eine Truhe hatte,die einem Vorfahren aus dem 14.Jahrhundert gehörte und dass diese eben seit damals im Familienbesitz war. Anders sieht es bei Waffen aus,denn ich nehme nicht an,dass jemand um 1450 eine Waffe benutzte die 200 Jahre alt war nur weil die einem Urururgrossvater gehörte und sie in Ehren gehalten werden soll ("Er hätte es sich gewünscht dass wir sie verwenden!"). Und ganz abenteuerlich und komplett spkulativ wird es für mich wenn ein Darsteller eines christlichen (!!) Kaufmanns z.B. aus dem Münster des späten 12.Jahrhunderts einen Thorshammer als Anhänger trägt und das damit begründet,dass sein Urgrossvater diesen Anhänger von einem dänischen Kaufmann aus Haithabu geschenkt bekam weil er ihm einst das Leben rettete als er den Dänen kennenlernte als er zwecks Abschluss eines Kaufes in Haithabu war und seitdem in seiner Familie dieser Anhänger immer weitervererbt würde. Nette Geschichte nur....damals (!) trug kein Christ einen Thorshammer.
 
Wenn jetzt Bürger aus dem 14. und 15. Jahrhundert in den Raum geworfen werden. Es gab in einer Städteordnung (ich meine Regensburg oder Augsburg um 1390 rum) den Passus, dass ein Mann ein Schwert besitzen müsse, um heiraten zu dürfen, ohne dass weiter auf dessen Beschaffenheit eingegangen wurde. Also theoretisch ein uralt Erbstück ausreichend gewesen wäre. Schließlich war alles, was mit Stadtverteidigung zu tun hatte Aufgabe der Handwerksgilden und die hatten eigene Ausrüstungslisten.
 
Schmuck als Erbstücke vom Ururururahnen könnte man durchaus noch gelten lassen. Aber bei Waffen, insbesondere Schwerter? Als Erinnerung an die glanzvollen Taten der Vorväter an die Wand gehängt - vielleicht. Warum auch nicht. Aber als aktive Waffe? Sicher nicht. Auch der beste Stahl altert und zeigt bei regem Gebrauch Materialermüdung. Wird jeder Schaukampf-Erfahrene bestätigen können. Über zwei bis drei Generationen hinweg vielleicht noch (der Generations'wechsel' war damals ja bekanntlich schneller getaktet als heute), nur sicher nicht über eine Zeitspanne von 100-200 Jahren.
 
Aber bei Waffen, insbesondere Schwerter?
Ich kann nur (und auch nur "theoretisch") für's Hochmittelalter sprechen. Hier halte ich es durchaus für möglich, dass Schwerter aus dem 11. Jhd. auch noch im 13. Jhd. Verwendung gefunden haben könnten. Teilweise findet man identische Klingenformen, Parierstangen und Knäufe in gleichem Stil über ca. 200 Jahre. Ob es allerdings realistisch ist, dass ein "Gebrauchsschwert", dass regelmässig benutzt wurde, über rund 200 Jahre hielt und "weiter vererbt" wurde? Oder ob sich einfach manche "Stile & Spezifikationen" - immer wieder "neu produziert" - über diesen Zeitraum hielten... müsste man mal nachforschen.
 
Gleiches Design? Klar, wäre nicht ungewöhnlich. Früher waren die Zeiten nicht so schnelllebig wie heute, und vieles wurde über einen längeren Zeitraum beibehalten. Von der reinen Logik her (ohne jeden Beleg) kann ich nicht glauben, dass ein und die gleiche Waffe über Jahrhunderte hinweg aktiv verwendet wurde. Schon gar nicht, wenn davon das eigene Leben und Sieg oder Niederlage abhing. Bereits im Schaukampf ist der Verschleiß nicht unerheblich. Unter realen Umständen - das eigene Leben - ist die Belastung ungleich höher. Heute würde auch niemand mit einem hundert Jahre alten Fallschirm aus dem Flugzeug springen, egal wie gut der in der ganzen Zeit repariert wird gewartet wurde. Zudem - auch wieder lediglich Mutmaßung - die dauerhafte Instandsetzung einer Klinge nur schwerlich günstiger gewesen sein kann als eine neue. Da eindeutige Belege fehlen, tendiere ich in diesem Fall zur Vernunft.
 
Macht nicht den Fehler, Rückschlüsse vom Schaukampf auf mögliche Ernsgefechte zu schließen - die Verwendung ist doch erheblich unterschiedlich....
 
Das war rein auf die Belastung des Materials bezogen. Im realen Kampf will man den Gegner um jeden Preis töten oder zumindest schwer verwunden. Dabei ist die gegnerische Rüstung (gleich wie auch immer die beschaffen sein mag) zu durchdringen. Gleichzeitig muss man sich des Gegners erwehren, der mit aller Kraft das gleiche versucht wie man selbst. Die Motivation ist die größte die es gibt - das eigene Leben. Der Schaukampf folgt gewissen Regeln bei Angriff und Verteidigung. Da geht es eben auch nicht darum, die Ausrüstung seines Gegenübers zu zerstören. Auch Verletzungen sollten weitestgehend vermieden werden. Motivation ist zwar auch hier der Sieg, aber der Verlierer ist noch am Leben und auch nicht verwundet. Somit liegt der Schluss sehr nahe, dass ein Schwert im Kampf mehr leisten und aushalten muss als beim Sport.
 
Eher andersrum - im Schaukampf ist die Belastung deutlich höher. Schau mal, wie filigran stellenweise historische Orginale eigentlich sind, die trotzdem Benutzungsspuren tragen. Da solltest du das Bild, was du vom Ernstkampf hast mal überdenken...
 
Das Thema ist sehr Spannend, für mich als Darsteller beantworte ich die Frage aber zielmlich Pragmatisch: Nein! Sicherlich lassen sich genug Belege finden die eine Verwendung älterer Ausrüstung zeigt. Nur habe ich mir im Hobby ja vorgenommen eine Person eines bestimmten Standes, aus einer bestimmten Zeit und Region darzustellen. Wenn ich jetzt eben einen Gambi habe der vom Schnitt und Details eben 100 Jahre zu "alt" ist, dann sage ich das dem Intressierten genau so. Warum soll ich mich in irgendwelche Erbgeschichten versticken??? Mein AVA zeigt auch ein ziemlich kurzes Kettenhemd und ich erkläre immer das es so nicht für 1190 üblich war und eben die und das es anderst sein müsste. Das ist zwar nüchtern aber eben ehrlich. Und was die verwendung älterer Waffen im 2.WK betrifft so kann ich in 2 Beispielen ein Erklärung dazu geben. Die Kavallerieatacken von polnischen und sowjetischen entstanden aus mangel an Ausrüstung und waren eher aus der Not heraus oder im Fall einiger Kosaken, aus Unwissenheit. Dort war das Pferd und der reitende Soldat ja Teil der Kultur. Diese Angriffe sollte nie Ernsthaft einen Panzer besiegen, eher als Ablenkung dienen um eigenen Truppen die Flucht zu ermöglichen (1942 gab es meines Wissens die letzten goßen Angriffe dieser Art) Das verwenden alter "Flinten" und Beutewaffen bei der Wehrmacht war zunächts für Freiwilligenverbände und Hilfstruppen vorgesehen da die zum Einen die Produktion eigener moderner Waffen nicht ausreichte und man zum Anderen ja noch eine "überlegenheit" gegenüber den Hilfstruppen bewahren wollte. Zu Zeiten des Volkssturms war die Rüstungsindustrie zusammengebrochen und mann kratzte aus den Magazinen was es gab. Also ist eine bewusste Verwendung alter Waffen in regulären Ttruppen nicht üblich. Anderst wird es zu früheren Zeiten auch nicht sein
 
Eher andersrum - im Schaukampf ist die Belastung deutlich höher. Schau mal, wie filigran stellenweise historische Orginale eigentlich sind, die trotzdem Benutzungsspuren tragen. Da solltest du das Bild, was du vom Ernstkampf hast mal überdenken...
Meine Überlegungen waren rein theoretischer Natur, weil ich weder den Ernstkampf noch den Schaukampf aus eigener praktischer Erfahrung kenne. - Beim Schaukampf möchte ich meinen Partner möglichst nicht verletzen - im Ernstkampf allerdings schon (folglich schlage / steche ich kräftiger zu). - Beim Schaukampf möchte ich die Ausrüstung / Schutz meines Partners nicht unnötig zerstören - im Ernstkampf schon (auch damit wieder größerer körperlicher Einsatz). - Im Schaukampf ist der persönliche 'Einsatz' nicht mein Leben - im Ernstkampf geht es jedoch genau darum, mit den beiden o.g. Folgen. Allerdings habe ich schon oft die Erfahrung gemacht, dass die vermeintlich logischen (aber rein theoretischen) Gedankengänge eines Laien sich absolut nicht mit der Realität decken. Deswegen finde ich Deinen Einspruch gerade hochinteressant. Wo ist mein Denkfehler, und warum ist die Belastung im Schaukampf deutlich höher als unter echten Bedingungen? Bitte Laientaugliche Antwort, bin wirklich ein Außenstehender bei dem Thema ;-)
 
I'm Schaukampf schlägt man die Klingen gegeneinander - im Ernstkampf ist stets der Körper das Ziel. Und nicht das Töten ist oberstes Ziel sondern selbst nicht getroffen zu werden - daher gehen beide Gegner das eher vorsichtiger an, bis sich eine gute Gelegenheit ergibt. Show ist für Nicht-Fachzuschauer meidet interessant, wenn es scheppert und gefährlich aussieht. Man erwartet halt zu sehen, was man aus Hollywood kennt und keine Technik, die jemand, der nicht fechtet nichtmal bemerken würde. Die ganze HEMA-Turniergrschichte liegt irgendwo dazwischen... Schau Dir die Schriften der späteren Fechtmeister an, wie abfällig über den Einsatz von Kraft und Mangel an Technik gesprochen wurde. Können das an geeignetem Ort gern vertiefen...
 
Show ist für Nicht-Fachzuschauer meidet interessant, wenn es scheppert und gefährlich aussieht. Man erwartet halt zu sehen, was man aus Hollywood kennt und keine Technik, die jemand, der nicht fechtet nichtmal bemerken würde.
Echter Schwertkampf,wie er im HoMi stattfand,dürfte für die Zuschauer von "Turnieren" auf heutigen "Mittelalter"märkten eher langweilig wirken,weil eben - wie Du schreibst - jeder Kämpfer erstmal darauf bedacht war nicht getroffen zu werden und folglich zuerst an die Abwehr feindlicher Attacken dachte.
 
:back Ich kann die Ausrüstung meines Opas nicht verwenden. Zu seinen Lebzeiten war historisches Hobby noch nicht so verbreitet. Die Leute damals hatten andere Sorgen. Ja, schade, wäre schon cool wenn er eine Ausrüstung HoMi gehabt hätte die ich heute nutzen könnte. Aber er war auch so ein toller Kerl. ^^
 
Zu seinen Lebzeiten war historisches Hobby noch nicht so verbreitet. Die Leute damals hatten andere Sorgen.
Aber gerade das ist doch genau diese moderne Reenactment-Denke. "Leg dich erst mal auf Region und Zeit fest" sowie "das ist aber nicht 'A'" sind reine, heutige LH-Argumente.
 
@Dunio Ich stelle einmal mehr fest, dass Hollywood sein Handwerk versteht und ich den klassischen Film-Fakes aufgesessen bin ;-) Deine Ausführung ist logisch und auch für einen Externen sehr gut nachvollziehbar. Danke Dir, wieder was gelernt :) Bislang hatte ich mich insgeheim bei Schwertfunden immer gewundert, warum der Parier an der Unterseite so gut wie nie ernsthafte Macken aufweist. Dabei ist er doch eigentlich dazu gedacht, Hiebe in Richtung Hand abzufangen. Mit Deiner Erklärung einer primären Verteidigungs- und Ausweichtaktik erklärt sich das nun von selbst.
 
Katharina. Dagegen habe ich von meinem Großvater einen feuerschläger der wie ein original wirkt.
 
Reenactmentzeug von Opa? Da muss ich immer an den hier denken...
Helm.jpg
Quelle=schwarzerhomor.net
 

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