Wie wollen wir denn die Häufigkeit der Verbreitung definieren?
Ruhig in % der bekannten Funde / Quellen. Wenn es nur um die Häufigkeit geht, dann ist diese ein objektiver Begriff und ebenso objektiv messbar. Daran habe ich ja auch gar nichts auszusetzen. Es ging mir um den schleichenden, unbemerkten Übergang von Fakt zu Wertung. Aus objektiver "Häufigkeit" wird spontan "Wichtigkeit". Quellenkritik beinhaltet auch die Kritik des eigenen Umgangs mit der Quelle. Ständige Selbstreflektion und Überprüfung der eigenen Gedankengänge. Gefühl und Ratio, Objektivität und Subjektivität sorgfältig zu trennen ist schwer, kenne ich selber gut genug, bin ich auch nicht dagegen gefeit, auch wenn ich mir ständig Mühe gebe - und vielleicht gerade deshalb oft etwas verkopft rüberkomme. Dein zweiter Punkt ist schon schieriger zu erläutern. Grundsätzlich hat der Vergleich wie gewünscht funktioniert: Du hast die Bedeutung des Begriffes "vernachlässigbar" überdacht und dabei, wie zu erwarten, Probleme festgestellt: Der Begriff "vernachlässigbar" hat eine größere Deutungsbreite als man meint und ist ohne nähere Spezifizierung nicht immer angebracht. q.e.d. Warum war ich aber der Meinung, Du hättest ihn unbedarft verwendet? Nun, Du hast ihn zur
quantitativen Beschreibung verwendet. Dazu ist er aber ungeeignet. Ob etwas quantitativ vernachlässigbar ist, hängt vom qualitativen Kontext ab. Ist etwa eine Abweichung von 1mm in einer geometrischen Konstruktion vernachlässigbar? Durchaus, wenn die Zeichnung 10 Meter groß ist, aber wohl eher nicht, wenn sie nur 1cm misst. Oder, um mal auf die soziologische Ebene zu wechseln: Sind die Mordopfer in Deutschland vernachlässigbar? Im Jahr 2012 gerade mal 281. Im Vergleich zu allen anderen unnatürlichen Todesursachen rein zahlenmäßig ein Hauch von Nichts. Die unfallbedingten Todesfälle in der Landwirtschaft im gleichen Jahr liegen mit 166 in derselben Größenordnung. Dafür, dass Morde also quantitativ vernachlässigbar sind, regen sie uns aber ganz schön auf. Tote Holzfäller seltsamerweise nicht. Oder nimm klassische Nachrichtenmeldungen: "Ein Flugzeug ist abgestürzt, 150 Tote." - Naja, kommt vor, kann passieren, muss man mit leben. "Unter den Todesopfern befinden sich 5 Kinder" - Oh Gott, eine Katastrophe, wie kann Gott so etwas zulassen!!!! Dabei sind 5 von 150 deutlich unter dem Schnitt für die Relation Kinder / Erwachsene. Also doch eigentlich vernachlässigbar, oder? Der Begriff "vernachlässigbar" impliziert unterschwellig Bedeutungslosigkeit. Und daher ist er in den allermeisten Fällen als rein quantitatives Maß untauglich,
wenn es um soziologische Themen geht. Und genau so ein Thema haben wir hier, wie man der Formulierung der Eingangsfrage entnehmen kann. Sie fragt zwar scheinbar sachlich nach der reinen historischen Häufigkeit, aber der Grund, warum der TE zu der Frage kam, ist das Entscheidende. Gerade bei dieser Thematik liegen Wissen und Fühlen eng beieinander und verschwimmen leicht. Es geht ja um die Verbindung "Vorkommen von Swastiken im FMA" und "Träger von Swastiken im FMA-Reenactment heute". Ersteres ist grundsätzlich messbar. Zweiteres nicht. Ginge es nur um die reine Menge an Swastiken bei FMA-Darstellern heute, wäre das natürlich theoretisch ebenso messbar wie ersteres, auch wenn es praktisch unmöglich sein dürfte. Mir ist jedenfalls keine wissenschaftlich seriöse, empirische Feldstudie zur Häufigkeit von Swastiken in den Darstellungen von FMA-Darstellern bekannt. Dazu müsste man ja schließlich
alle FMA-Darsteller genau untersuchen. Nicht zuletzt deshalb bin ich skeptisch, wenn Buchautoren da von Häufigkeiten und Verbreitungen fabulieren, die sie ja gar nicht wissen können. Dunkelziffern sind schon was Feines, die kann sich jeder so zurechtbiegen, wie es gerade in sein Weltbild passt. Nach meiner persönlichen Beobachtung, ich mache ja FMA, Karolinger, um genau zu sein, ist die FMA-Szene bei weitem nicht so rechtsaußen-überladen, wie ich immer wieder mal lese oder höre. Früher mal, vor 15 Jahren, fühlten sich die Glatzen gerne zu Wikinger-Reenacors und entsprechenden Veranstaltungen hingezogen; weniger wegen der dort stattfindenden Hitlerhuldigungen, die gab es nämlich damals schon nicht, sondern eher wegen der nordischen Mythologie. Also im Grunde ja nicht mal was Ehrenrühriges. Aber die Fronten sind schon lange geklärt, die Rechten haben gemerkt, dass sie als Menschen zwar willkommen sind, ihre Ideologie aber bitte draußen bleibt. Damit wurde FMA-Reenactment für die ganz Harten uninteressant. Was es, gerade bei Wikis und heidnischen Germanen / Kelten natürlich immer noch gibt, sind Leute mit einem Hang zum Antichristlichen, manchmal Anarchischen, "alten Werten" und rustikaler bis kitschiger Romantik. Alles Dinge, die (bis auf das Anarchische) zwar auch Nazis lieben, die aber umgekehrt noch keinen zum Nazi machen. Interessant, dass sich sowohl rechtslastige wie linkslastige Gesinnungen zur Romantik des FMA hingezogen fühlen. Wäre mal interessant, zu eruieren, wie viele bekennende Rechte in der FMA-Szene auf wie viele bekennende Linke kommen. Ich bin sicher, das würde das Weltbild derer, die die FMA-Szene von Rechts unterwandert wähnen, gehörig ins Wanken bringen. Jedenfalls sind, nach meiner Wahrnehmung, eindeutige Swastiken in der FMA-Szene sehr selten. Triskeln, Sonnenräder, Keltenkreuze, ja, mitunter, aber auch nicht flächendeckend, als ob das jeder Zweite trüge. Gerade Triskeln oder Sonnenräder auch als Ornamentik, zum Beispiel Bestickungen auf der Tunika, bei Leuten, die ich nun eher links als rechts einstufe. Und nordische Runen verwenden Wikinger von Natur aus gerne, aber das ist ja wohl naheliegend. Aus dem Bauch raus würde ich sagen, die Häufigkeit in den Quellen und die Häufigkeit in der Darstellung dürften sich in etwa die Waage halten. Auf die ganze Szene verteilt wohlgemerkt. Was der eine zu viel davon herumträgt (aus weltanschaulichen Gründen), trägt der andere zu wenig herum (aus weltanschaulichen Gründen). Fängt man nun aber an zu zählen und das dann hochzurechnen, dann stolpert man über die Tücken der Statistik. Ein einziger, mit Swastiken über und über behängter Hardcore-Ultra beschert statistisch gesehen 50 FMA-Reenactors je eine Swastika. So, wie ein Millionär über das durchschnittliche Bruttovermögen der Deutschen 100 Sozialhilfeempfänger statistisch zu reichen Leuten macht. Wichtiger als die Verbreitung von Swastiken in der Szene allgemein wäre also ein Blick auf die Verbreitung von eindeutigen Neonazis im Reenacment. Von den Swastiken, die ja für das FMA tatsächlich nachgewiesen sind und daher grundsätzlich legitim von einem Reenactor verwendet werden können, auf den Gehalt an rechtem Gedankengut in eben dieser Szene zu schließen, ist weder wissenschaftlich noch seriös. Das ist pure Kaffesatzleserei. Ich persönlich kenne keine Quellen aus der Karolingerzeit, die für mich eine Swastika belegen würden. Ich brauch die Dinger also ohnehin nicht. Aber wenn ich eine Quelle finden würde, würde ich mir das überlegen, schon rein aus Trotz. Und nein, ich bin alles andere als rechts. Mir geht
jeder Meinungsfaschismus auf den Sack, egal von welcher Seite.