Schlauchschleier und Wimpel aus Wollmusselin - geht das überhaupt so?

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@Wilfried: Sei mir nicht böse, aber ich halte persönlich nicht so viel von solch "konstruierten" Geschichten, um einen nicht vorhandenen Beleg zu kompensieren..... Dann habe ich tatsächlich "Mut zur Lücke" und lasse es sein, bis der Stand der Wissenschaft soweit ist, das man mit evtl. neuen Erkenntnissen etwas anfangen kann. Für mich stellt sich halt die Frage, warum hier ein Markt für eine Faser existiert haben soll, die keine nennenswerten Vorteile gegenüber Leinen aufweist, durch Import und durch lange Handelswege vergleichsweise sicher teuer war.
 
:eek:ff2 Berenika und Silvia, ich gehe ja mit Euch. Die Marktgeschichte ist nicht konstruiert. Ein bißchen abgewandelt, ja. Die arbeitende Bevölkerung, auch die Mägde und Knechte, gingen ihren Jobs nach. Die hatten weder Zeit noch Möglichkeit, Leinen anzubauen, zu ernten, eine Faser daraus zu fertigen, diese zu verweben und zu färben. Dafür gab es eine gut organisierte "Industrie", die ihre Produkte auf den Markt warf. Gilt sinngemäß auch für Wolle und andere Fasern. Teuer ist relativ, genau wie heute. Warum soll ein Markt existiert haben für die Wolle von den Bäumen? Weil die Bevölkerung auf dem Gebiet des späteren Deutschlands geschätzt folgendermaßen aussah: 4 Millionen um 1000, 8 Millionen um 1200, 14 Millionen um 1340. Wenn das kein Markt ist? Für diese Zeiträume lassen sich erhöhte Produktions- und Importzahlen nachweisen, sowohl von Leinen wie auch von Wolle. Und eben auch von Baumwolle (roh und fertig). Die kam übrigens nicht nur über die Alpen, sondern auch "außenrum", bspw. über Brügge und Lübeck. Vom späten 12.Jhdt ist der Handel (von Italien aus)mit ihr auf Messen in der Champagne und in London belegt. In der Folge expandierte der Handel mit Nordwesteuropa rapide. Im Lauf des 13.Jhdt. entwickelte sich der Export nach Süddeutschland und von dort über die nördlichen und östlichen Handelsrouten bis nach Böhmen, Österreich und Ungarn, sowie weiter bis Osteuropa. Außerdem exportierten die Italiener ihre Baumwollerzeugnisse nach Spanien, Byzanz und Nordafrika. Diese Massenproduktion ermöglichte relativ niedrige Preise, der Absatz wurde durch aggressives Marketing vorangetrieben. Und jetzt der Umkehrschluß: ohne einen bereits existierenden und ständig wachsenden Markt für erschwingliche Textilprodukte wäre kein Händler auf den Gedanken gekommen, Baumwolle zu importieren, keine Handwerkergilde hätte sie weiterverarbeitet. Keine italienische Webergilde hätte Regeln aufgestellt, um Produktion und Export zu begrenzen und so den Markt/ die Preise zu regulieren. Sie alle haben es trotzdem getan. Sie waren erfolgreich und verdienten Geld damit. Und ohne ein erschwingliches Angebot an Nahrung und Textilien, an Einkommen durch Arbeit, wäre die Bevölkerung (s.o.) nicht so rapide angewachsen. Eines bedingt das andere. Noch was zu den Importkosten: zusätzlich zu heimischer Produktion wurden auch Wolle und Leinen importiert und waren kein Billigprodukt. Seide als wirklichen Luxusartikel lassen wir hier mal außen vor. Bedeutend ist hier auch der Fakt, daß zwischen 1250 und 1350 die Navigationsmethoden verbessert und größere Schiffe gebaut wurden, was es ermöglichte, auch während der Wintermonate Handelsreisen zu unternehmen. Für den Levantehandel bspw. bewirkte dies die Verdopplung der Frachtfahrten. Auf die Baumwolle bezogen bedeutete es einen effizienteren Transport und somit Senkung der Frachtkosten - und einen günstigeren Endverbraucherpreis. Zu nennenswerten Vorteilen der Baumwolle gegenüber Leinen kann ich jetzt noch nichts sagen (Stoffeigenschaften siehe Fachliteratur - muß ich hier nicht ausführen). Entschuldigt bitte die etwas unstrukturierte Aufreihung der Fakten. Quellenangaben habe ich weggelassen, da müßte ich nochmal so viel tippen. Diese folgen irgendwann an anderer Stelle. :back :danke
 
.......siehst du Wilfried......und solange diese Quellen und Belege fehlen, sind deine Ausführungen (für mich) eben deine persönlichen Thesen.....und keine Fakten. Auch vermisse ich ein bisschen den Zeitstrahl ....wann passierte was? Wenn wir uns an die Definition des "Mittelalter" halten reden wir von einer Zeitspanne von rund 1000 Jahren.... Eine wachsende Bevölkerung ergibt nicht zwangsläufig einen Markt....was sind das für Leute...welchen Stand haben die? Haben sie überhaupt die Mittel etwas zu erwerben? Wieso sollte man heimische Produkte durch teuer importierte ersetzen? Wie kommen diese großen Mengen zustande, die Deiner Meinung nach den günstigen Preis erwirken? Wo werden diese Mengen angebaut? Und was trägt dann die Bevölkerung im Ursprungsland? Wie haben die diesen Überschuss erzeugt? Also ich glaube, das sehr wohl auch Baumwolle importiert wurde. Allerdings keinesfalls in den inflationären Mengen die Du hier darstellst . Sonder eher vielleicht als exklusives Handelsgut. ..ähnlich wie bei Seidenstoffe oder Gewürzen. Wenn du andere , belegbare (!) Erkenntnisse hast, wäre ich ehrlich begeistert. Solange du diese nicht angibst, bleibt es für mich eine persönliche Schlussfolgerung aus modernem denken heraus. Aber das ist ja auch in Ordnung, dann haben wir zum Thema eben einfach unterschiedliche Meinungen. ;)
 
Um auf den feinen Wollstoff zurück zu kommen. Gerda hast kennst Du die Fadendichte Deines Stoffs ? Die könnte man jetzt zählen (hilfreich Foto mit Lineal und am PC vergrößern) aber das halte ich für Erbsenzählerei. Sehr feine Wollstoffe gab es. (wie die heute heißen ist mal egal) Wer sie genau trug, und wer nicht, lässt sich nur schwer fest stellen. Sinn einer Darstellung ist es, ein typisches stimmiges Bild zu vermitteln. In dem Fall würde ich mich an typische Kopfbedeckungen halten, die sich gut belegen lassen. Selbst Nischen Darstellungen haben oft eine konkrete Vorlage, an der man sich orientieren kann. So lange Du für 1250 keinen Beleg für den Schlauchschleier im nicht klerikalen Bereich hast, würde ich ihn weg lassen.
 
Selbst in späteren Jahren (18. Jahrhundert) gibt es Vorschriften, dass importierte Baumwolle nicht verwendet werden darf / soll! Die heimische Leinenproduktion sollte geschützt werden. Wenn ich mir das massive Vorkommen von Spinnräden, Hungerrädern etc. ansehe - die dienten zur Leinenherstellung. In jedem Freilichtmuseum stehen Gerätschaften zur Flachsverarbeitung. Die Alten aus meinem Dorf erzählen heute noch, wie sie als Kinder Flachs verarbeiten und spinnen mussten, bis die Hände blutig waren. Wofür das alles? Für den Misthaufen? Nö - zur Herstellung von Leinen als Stoff für Handtücher, Bettücher, Nachthemden usw. Im Süddeutschen Raum gab es recht bekannte Barchent Webereien. Barchent ein Mischgewebe aus Baumwolle (Schuss) und Leinen (Kette) wurde erst im 19. Jahrhundert durch reine Baumwollstoffe verdrängt. Die Fugger - ein doch sehr berühmtes Kaufmannsgeschlecht - legten ihren Grundstein für ihren Reichtum in der Produktion von Leinen und Barchent. Reine Baumwolle: negativ! Barchent - ist belegbarer, aber nicht günstig. Und Handelsfahrten im Winter. Per Schiff? Schon mal Berichte über die stürmische Nordsee gehört? Die zugefrorene Ostsee? Das Skagerrak ist für seine je nach Wetterlage auftretenden schwierigen Seebedingungen aus Wind und Seegang bei Seeleuten verschrien. Wenn du erstmal um das Skagerrak rum warst wartet immer nur das Kattegat auf einen. Während der Hansezeit aufgrund seiner vielen Untiefen und schmalen Fahrwässer gefürchtet. Im Kattegat liegen noch genügend Wracks. Per Fuhrwerk? Schneebedeckte Alpenpässe? Es mag Kaufleute gegeben haben, die im Winter unterwegs waren. Ob sie die Regel waren.... Gerade im späten Mittelalter helfen die Verordnungen über Stoffe, Putz und Kleidung sehr weiter. Da wird derart viel geregelt - nur nirgends sind mir Mägde, unfreie Bäuerinnen und kleine Handwerksehefrauen bekannt, die teure Stoffe trugen. Flachs wächst bis heute in Mitteleuropa, Schafe finden hier sehr gute Bedingungen - warum soll ich als Magd Barchent kaufen? Einen Stoff, den ich mir nicht leisten kann! Was verdient eine Magd um 1340? Um 1465? Um 1525? Um 1637? Um 1746? Um 1899? Um 1906?
 
und solange diese Quellen und Belege fehlen, sind deine Ausführungen (für mich) eben deine persönlichen Thesen.....und keine Fakten.
The Italian cotton industry in the later Middle Ages 1100 -1600 von Maureen Fennell Mazzaoui (Associate Professor of History, The University of Wisconsin, Madison) Cambridge University Press 1981 ISBN 0 521 23095 0 http://www.goodreads.com/book/show/...n-industry-in-the-later-middle-ages-1100-1600 In diesem Standardwerk sind in der Bibliographie 15 Archivpositionen mit jeweils mehreren Einträgen 88 Primärquellen 212 Positionen zu Sekundärquellen aufgeführt. Es gibt auch noch andere Quellen die meine Ansichten stützen. Auch ich habe mal geglaubt was von einer MA-Darsteller-Generation zur nächsten weitergegeben wurde.
 
Ich kann das Werk natürlich jetzt nicht auf die schnelle lesen... Aber: Ich spekuliere nun auch mal --> In der Kurzbeschreibung ist von der Fertigung der Textilien in Italien die Rede, nicht vom Import aus dem "Orient" --> Was genau ist mit "Orient" und "islamic Fabrics" gemeint? -->und wie inflationär is die tatsächliche Verbreitung solcher Stoff im nördlichen und mittleren Europa tatsächlich? --> und noch einmal: wer hat überhaupt die Mittel solche Handelswaren zu erwerben? Sorry liebe Gerda für das "bashen" deines Threads..... Ich hab mich hinreißen lassen...aber es ist halt auch ein sehr spannendes Thema.
 
Ist zwar kein "wissenschaftlicher" Beleg, aber noch in "North and South" von Elizabeth Gaskell (ich empfehle an dieser Stelle auch die BBC-Verfilmung) wird 1850 noch erwähnt, dass man nicht versteht, was die Baumwoll-Spinnereien sollen, man würde sicher immer Leinen tragen. Daraus schließe ich mal, dass die Verwendung von Baumwolle (gerade für Kleidung) selbst im 19. Jahrhundert eher die Ausnahme war, und das in einer Zeit, wo spinnen und weben schon maschinell erfolgten.
 
In der Kurzbeschreibung ist von der Fertigung der Textilien in Italien die Rede, nicht vom Import aus dem "Orient"
Ist halt eine Kurzbeschreibung... ;) Zum Inhalt: (Original in englisch) Teil 1: Die Rolle der Baumwolle in der mediterranen Ökonomie 1. Baumwollkultivierung in der antiken und mittelalterlichen Welt 2. Der Baumwollhandel im Mittelmerrraum 1100 - 1600 Teil 2: Organisation der norditalienischen Industrie 3. Die Ausbreitung der Baumwollfertigung 4. Technologische Innovation 5. Die Struktur der Nachfrage: Produkte und Märkte 6. Gilden und unternehmerische Strukturen Teil 3: Die Entstehung der Baumwollproduktion nördlich der Alpen 7. Italien und Süddeutschland 1300 - 1600 8. Europäische Baumwollproduktion am Vorabend der Industriellen Revolution Anhang I Produktionskosten für Baumwollgarne und -gewebe in Mailand im frühen 16.Jhdt. II Die Produkte der Italienischen Baumwollindustrie Fußnoten Auswahlbibliographie Index Ich habe nie den Begriff "inflationär" gebraucht, denn das war nicht so. Ich spreche von Größenordnungen, von Massenware, von einem Markt für die Schichten unterhalb der "oberen Zehntausend", von tonnenschwer beladenen Frachtschiffen usw. Ich lasse auch die Islamische Welt im Zeitraum 800 - 1100 mal außen vor, denn dort (Haupterzeugerländer) war Baumwolle längst Textil Nr. 1 für Kleidung und sämtliche Alltagstextilien. (Kreuzfahrerstaaten eingeschlossen)
 
Guten Mo-...*schielt auf die Uhr*..Vormittag alle zusammen! :) Ich danke euch allen sehr für die rege Diskussion und das geballte Fachwissen, deshalb liebe ich Foren so :) Trotzdem möchte ich besonders dich, @Wilfried Tenneberg bitten, einen extra Thread für die Baumwoll-Geschichte aufzumachen. Ich finde das Thema auch sehr spannend, aber in diesem Thread geht es um Wolle. Es geht auch nicht darum, eine Alternative zur Wolle zu finden, sondern (unter anderem) um die Frage, ob Wollstoff in dieser Qualität als Kopfbedeckung verwendet wurde, und wenn ja von wem. Dein ganzes Baumwoll-Wissen geht hier ja voll den Bach runter, weil das keiner wiederfindet! Gib ihm doch einen passenderen Platz ;-) Zu deiner Frage, @Silvia : Ich hatte gaaaanz am Anfang auf der ersten Seite mal ein solches Foto gepostet. Hier ist is noch mal:
[...] Bei meinem Schleier handelt es sich um ein Wollgewebe in Leinwandbindung, dass ich als "roh" bezeichnen würde, also so, wie es vom Webstuhl kommt, nicht verdichtet oder gewalkt. Nachtrag im Zitat: das ist die "Etamine da Laine" vom Färbehof, 120g/Lfm = 80g/m² Ich habe noch mal ein Foto mit Maßband gemacht, da sieht man das Gewebe besser.
20160403_171002-e1459696321726.jpg
Das ist schon wirklich sehr fein. Kania zitiert in ihrem Buch eine Einteilung von Tidow, nach der eine Fadendichte von über 18 Fäden pro cm als "sehr fein" eingeteilt wird. (vgl. Kania, Katrin, "Kleidung im Mittelalter" 2010) Ich zähle hier ungefähr 20 Fäden pro cm. Allerdings haben das meine verwendeten Leinenstoffe auch ,und die sind noch nie als besonders fein aufgefallen... :/ [...] Was ich mir allerdings sofort sagen lassen würde ist, dass das Tuch zu fein ist für eine einfache Darstellung. Das vermute ich schon länger bei einigen meiner Stoffe, aber da recherchiere ich gerade Stück für Stück.
Ansonsten gehe ich völlig mit dir überein, Silvia: gerade, da ich viel im musealen Bereich unterwegs bin, greife ich im Zweifelsfall auf das zurück, was definitiv belegbar ist. Daher kam übrigens die ganze Frage. Wenn ich mit Besuchern über Textilien und Kleidung spreche, zeige ich ihnen gerne verschiedene Stoffe um den "Wolle? Das kratzt doch!"-Mythos zu widerlegen. Dieser Stoff war immer einer davon. Es gleubt immer keiner, dass das Wolle ist ;-) Könntest du mir eine Einschätzung geben, ob ich ihn (selbst wenn ich ihn nicht mehr überall als Kopfbedeckung tragen würde) zumindest herzeigen kann als "Hier mal ein Beispiel dafür, wie fein man Wolle auch im 13. Jhd schon weben konnte" ?
 
Das zeigen würde ich mit Ja beantworten, auch wenn ich Dir den Beleg dafür gerade schuldig bleiben muss. (sorry hab gerade keine Zeit zu suchen) Bei den ganz feinen Stoffen mit mehr 20 Fäden die Erwähnung finden, würde ich auf Seide tippen. Das alles aber aus dem Kopf heraus. Dazu kommt das die Stoffe nach dem weben oft eine Endveredlung bekommen haben, deren Feinheiten und Vielfältigkeit heute nicht mehr nachvollziehbar sind. Stoffe wurden aufgeraut, bis man eine Art Flanell erhielt, sie wurden geschoren, wenn sie zu borstig waren, die Garne waren generell fester gesponnen, was insgesamt eine ganz andere Haptik aus macht. Das alles ist ein großes Thema. Zum Thema kratzen, habe ich einmal einen Punkt auf meinem Blog zusammen geklaubt: http://zeitensprung.blogspot.de/2015/12/raufen-oder-scheren.html (Quelle mein Blog bei Google)
 

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