Sprache ist dynamisch , warum sich sorgen?
Das ist zuerst mal durchaus korrekt. Allein die mehr oder minder klar erkennbar angedeutete Schlussfolgerung daraus, die ich zwischen den Zeilen zu entnehmen befürchte, behagt mir nicht. Kann ich eine Fehlleistung im Hier und Jetzt damit rechtfertigen, dass in der Zukunft die Dinge sich sowieso geändert haben mögen? In dem (praktisch unmöglichen) Falle, dass ich genau weiß, wie die Dinge in der Zukunft tatsächlich aussehen werden, könnte ich das noch als eine Art vorweggenommene Realität interpretieren. Dann bin ich einfach meiner Zeit voraus. In dem wahrscheinlicheren Falle, dass ich nicht genau weiß, wie die Dinge in Zukunft aussehen, kann ich mich damit aber nicht herausreden. Wobei das bei anderen, aktuell gültigen, gesellschaftlichen Normen zweifellos interessante Effekte nach sich ziehen würde. ("Herr Richter, gesellschaftliche Normen ändern sich und die Gesetze mit ihnen. In Zukunft ist Raubmord sicher wieder en vogue. Früher stand auf Homosexualität Zuchthaus, heute wird man eher verdammt, wenn man's nicht öffentlich gutheißt. Wer sind Sie, dass Sie sich da anmaßen, über uns zu richten! Normen sind dynamisch, warum sich sorgen? Ich geh dann mal") Zugegeben, die Veränderung von Regeln und Normen ist mitunter auch ärgerlich. Dafür, wie ich heute schreiben muss, hätte ich vor 30 Jahren im Diktat eine 5 kassiert. (Aus diesem Grunde sehe ich auch nicht ein, jeden Mist der Reform mitzumachen. Ich habe mir meine eigenen, alten Regeln erhalten. Früher
musste ich so schreiben, heute
dürfte ich es nicht mehr? Bin ich denn der Depp?) Umgekehrt: Kann ich meine alten Noten eigentlich jetzt anfechten und um Nachkorrektur bitten? Na, egal, würde bei mir ohnehin nichts bringen, orthografische Regeln waren nicht eines meiner drängendsten schulischen Probleme. Zurück zur These: "Ist doch leidlich egal, denn Sprache verändert sich ohnehin." oder, um mal eine alte Unicum zu zitieren, in der Gott, gefragt ob man 'Preis(s)elbeeren' mit einem oder mit zwei 's' schreibe, antwortete: "Ach, schreib's mit zwei, die in der Duden-Redaktion sind doch eh alle debil." Einerseits ist das so verlockend wie wahr: Nicht die aktuelle Sprache richtet sich nach dem Duden, sondern der Duden nach der aktuellen Sprache. Ein Umstand, den viele durcheinanderbringen. Daraus folgt, dass ich, als Teil der Gemeinschaft der Deutsch-Sprechenden, das Recht habe, meine Sprache zu verändern. Setzt sich eine von mir kreierte Änderung durch, hält das neue Idiom oder die grammatikalische Form Einzug in den offiziellen Sprachschatz und der Duden hat das zu akzeptieren und aufzunehmen. Aaaber.... Jetzt kommt jeder daher und beruft sich auf dieses aus der möglichen sprachlichen Zukunft abgeleitete Recht und doktert an unserer Sprache rum, als ob es kein Jetzt gäbe. Das ist nur auf den ersten Blick lustig. Denn Sprache dient zur Kommunikation zwischen Menschen. Aha - mindestens zwei. Der Eine sollte schon verstehen, was der Andere meint. Und zwar nicht nur halbwegs, sondern bei Bedarf bitte präzise: Ein Chirurg zum Anderen bei der OP am offenen Herzen: "Ey, mach da mal Messer!" Ob sich die trauernden Angehörigen hernach mit der Begründung trösten können, man habe doch nur die Entwicklung der Sprache fördern wollen?" Nein, es gibt aktuelle Normen nicht umsonst. Wer schriftlich kommuniziert, also eventuelle Verständnisprobleme nicht sofort nachbessern und seine Aussage nicht durch nonverbale Elemente ergänzen kann (Kommunikationswissenschaftler gehen davon aus, dass bei mündlicher Kommunikation lediglich um die 20% der übertragenen Information auf den reinen Wortlaut entfallen, der Rest geht über Mimik, Gestik, Betonung, Tonfall usw), der sollte sich an die derzeit geltenden Regen so gut es geht halten. Nicht nur, um einigermaßen sicherzugehen, auch korrekt verstanden worden zu sein, also ein reinem eigenen Interesse. Sondern auch aus Höflichkeit dem Anderen gegenüber. Ich habe zu viele Aufsätze oder auch Proben korrigieren müssen, die in einem derart schlechten Deutsch verfasst waren, dass es eine Zumutung war, den vom Verfasser intendierten Inhalt zu erknobeln. Ganz abgesehen davon, dass ich oft schlicht nicht wissen konnte, ob das jetzt halbwegs richtig gemeint (und damit einen Punkt wert) war oder einfach gnadenlos falsch. Kann ich einem Prüfling noch Aufregung und Zeitdruck zugute halten, so entfallen beide Ausreden in einem Forum. Es ist kein Problem, seine Sätze noch mal zu überprüfen, sein Werk mindestens einmal korrekturzulesen. Es ist ein kurzer Textbeitrag, nicht 'Krieg und Frieden', da ist das doch nicht zu viel verlangt. Übrigens: Die besten Diktate, die ich meiner Lehrerlaufbahn je gesehen habe, schrieb ein 13-jähriges Flüchtlingsmädchen aus Bosnien an der Hauptschule, die seit eineinhalb Jahren in Deutschland war. Regelmäßig null Fehler. Nach alter Rechtschreibung. Das hat mich beeindruckt. Ich habe promovierte Ärzte schlampiger schreiben sehen. Auch mit aus anderen Sprachen, vornehmlich der hippen amerikanischen, entlehnten Wörtern habe ich so meine Probleme, speziell bei den ohne Not entlehnten, die, streng genommen, noch nicht einmal entlehnt sein können, weil sie es in ihrer angeblichen Originalsprache in dieser Bedeutung gar nicht gibt (Ich erinnere an das neudeutsche Wort 'Handy'). Freilich, ein Gutteil der vermeintlich urdeutschen Wörter unteres Vokabulars hat fremdländische Wurzeln. Aber diese hatten teils Jahrhunderte Zeit, sich in unserem Sprachschatz zu verankern. Und ihre Schöpfer - oder besser Schleuser - verwendeten sie damals überwiegend korrekt nach ihrer originalen Bedeutung. Aber viele der neudeutschen Wortwaisen haben gar keine sprachlichen Eltern. Sie werden zum größten Teil von der Marketingbranche erschaffen, um die Produkte besser zu verkaufen. Im Übrigen auch ein Grund dafür, dass ich der modernen Anglizismenflut eher ablehnend gegenüber stehe: Die erfinden diese Wortzombies, damit ich ihren Schrott kaufe, dessen weitgehende Unnötigkeit oder zumindest Banalität bei deutscher Benamung wohl viel augenfälliger wäre. Muss ich nicht auch noch gut finden und freudig mitmachen. Obwohl... Ob ich statt 'Nachhilfe' vielleicht 'Education-Management' auf meine Homepage schreiben sollte? Könnte ich glatt das Doppelte dafür verlangen... Egal, grundsätzlich hat jeder mit der Erlernung der deutschen Sprache als Muttersprache das Recht erworben, sie weiter zu entwickeln. Man sollte dabei aber bedenken, dass der Sinn, mit denen man eigene Wortneuschöpfungen belegt, dem Gegenüber nicht notwendigerweise bekannt sein muss. Ihn dergestalt vor Sprachrätsel zu stellen, mag vielleicht cool daherkommen, ist aber minder rücksichtsvoll. Außer in Fällen, in denen der Sinn aus dem aktuellen Kontext klar ersichtlich wird, ist von allzu progressiven sprachlichen Experimenten in der (rein schriftlichen) Forenkommunikation also eher Abstand zu nehmen. Jedenfalls behagt mir der Tenor "Sprache verändert sich ohnehin, da braucht man sich um falsches Deutsch nicht scheren - sofern es überhaupt falsches Deutsch gibt und nicht nur vorweggenommenes richtiges" nicht wirklich. In Maßen und bei differenzierter Betrachtung - ja. Aber so als Dogma dahingesagt hat es doch ein wenig den Gusto einer Ausrede, um die eigenen (Nach?)Lässigkeit zu sanktionieren.