Artikel: Authentizität und der ewige Streit darum.

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Ist aber ein häufiges "Argument" gegen eine möglichst authentische Darstellung, dass man ja eben den Stoff auch nicht selbst gewebt, das Schaf gar selbst geschoren habe.
Das ist aber auch ein sehr richtiges Argument. Es sollte schon das richtige Schaf sein, mit der Schere geschoren, gekämmt, gewaschen (Seife aus Schlachtfett und Asche herzustellen), gesponnen (mit der Handspindel, für spätere Darstellungen dürfen die Schussfäden mit einem entsprechenden Spinnrad gefertigt werden), am adäquaten Webrahmen (Bauart gemäß Darstellungszeit) mit Nähnadel (der Darstellung entsprechend) handgenäht. Und sobald neue Forschungsergebnisse vorliegen, wirft man das - mittlerweile falsche - Zeug weg und macht es neu, damit man es richtig hat. Das genau ist aber die Aufgabenstellung einer "authentischen Darstellung" und das Wörtchen "möglichst" relativiert das gar nicht, weil es war ja schon mal (vor ein paar Jahrhunderten) genau so möglich. Bis auf die Jahresringe des Baumes, aus dem das Webschiffchen geschnitzt wird, ist alles genau so möglich. Jetzt ist so eine "authentische Darstellung" eine Grenzwertaufgabe: "authentische Darstellung=genau so wie früher", für die gilt, dass "genau so" wissenschaftlich und erkenntnisphilosophisch nicht existent ist (siehe Schrödingers Katze, Heisenbergs Unschärfe, Platons Höhlengleichnis, etc) und "wie früher" nicht komplett abgebildet ist (es kann nicht alles gefunden werden, und wenn es gefunden wird, führt es zu "genau so"). Vernünftigerweise muss man jetzt zugeben, dass das eine unlösbare Aufgabe ist. Zumindest in logischer Hinsicht. Emotional sieht das schon ganz anders aus und solchen unvernünftigen und unlogischen Herausforderungen kann man sich nur aus Gefühlsregungen heraus annehmen. Deshalb sitzt so mancher noch um drei Uhr in der Früh mit Werkzeug neben dem Fundbuch, obwohl er am nächsten Tag arbeiten muss oder näht ein Zelt mit der Hand, obwohl es sowas auch zu kaufen gäbe. Jede zwischenmenschliche Beschäftigung mit dem Thema wird dann so geführt, wie das Thema selbst beschaffen ist: Unvernünftig, unlogisch, emotional und ohne jemals zu einem richtigen, abschließenden Ergebnis zu kommen. :keule1
 
Alles richtig und ist auch, wenn man's drauf anlegte, tatsächlich machbar (ich versuche gerade, Seife aus Aschenlauge und Rindertalg herzustellen...) - aber ich muss nicht jeden Arbeitsschritt SELBST gemacht haben. Es reicht, dass ein ANDERER ihn wie vorstehend durchgeführt hat. Das meinte ich mit diesem Argument: Du hast ja aber das Schaf auch nicht selbt geschoren (das Messer selbst geschmiedet, den Becher selbst geformt und den Ton dazu ausgegraben).
 
Ist aber ein häufiges "Argument" gegen eine möglichst authentische Darstellung, dass man ja eben den Stoff auch nicht selbst gewebt, das Schaf gar selbst geschoren habe.
Damals hat nicht jeder alles gemacht, das ist erst einmal mein Gegenargument dazu. Damals hätte ich den Stoff auch gekauft, weil ich auch damals nicht in der Lage gewesen wäre so einen Stoff selber herzustellen, dazu fehlte/fehlt auch heute die jahrelange tägliche Nutzung der Handspindel und die jahrelange tägliche Arbeit am Webstuhl und die Zeit. Auch heute habe ich mich auf bestimmte Themen spezialisiert und muss zudem für vier Personen für Bekleidung recherchieren, Schnittmuster erstellen und nähen. Ein handgesponnener, handgewebter feiner Wollstoff von der richtigen Schafrasse , wäre natürlich schon das Nonplusultra, aber es bliebe nur kaufen und für einen Stoff, in der Qualität, den ich als wohlhabendere Handwerkerin benötigen würde, fehlt im Moment das Geld. Gedanklich spiele ich natürlich schon damit. Denn wenn ich ehrlich bin, manchmal frage ich mich schon, warum ich mir einen maschinell hergestellten Stoff pflanzenfärben lasse und dann mit der Hand nähe. Ein klitzekleines bisschen Widersprüchlich empfinde ich das dann schon selber, was ich da so mache.
 
Den Widerspruch empfinde ich auch. Allerdings kommt's ja auch viel auf die Absicht an, warum man unser Hobby betreibt: back to the roots; nachvollziehen, wie mensch sich damals gefühlt hat; Interesse an alten Handwerken; eine vollständige Rekonstruktion eines Fundes, vorführen wie es damals mutmaßlich gemacht wurde... Wenn ich am Ende nicht mehr sehen kann, ob die Handnaht mit einer Bronze- oder Knochennadel oder einer modernen Stahlnadel gemacht wurde, hab ich keine Probleme damit, eine moderne Nadel zu nehmen. Und im stillen Kämmerlein werde ich auch weiter mit Stahlnadel nähen, mit einem Maßband ausmessen und mit meiner superscharfen japanischen Schere schneiden. Denn am fertigen Stück kann niemand einen Unterschied erkennen. Weil ich aber schon hie und da drauf angesprochen worden bin, dass man so fein, wie unsere Nähte und Saumstiche sind, das ja wohl nie und nimmer mit einer Bronze- oder Knochennadel hinbekäme, werde ich mich nicht mehr mit einer Stahlnadel "in Klamotte" blicken lassen. Sondern mir entsprechende Nadeln besorgen und alles andere, was man damals hatte und den Leuten zeigen, dass es sehr wohl geht.
 
Damals hat nicht jeder alles gemacht, das ist erst einmal mein Gegenargument dazu.
Das ist nur ein Argument, es nicht selber zu machen. Kein Argument, warum man seine Darstellung nicht entsprechend aufgebaut hat. Daher bin ich dafür, das jeder, der seine Kleidung entsprechend den obigen Vorgaben gemacht hat oder machen hat lassen mal winkt. :bye01 (ich winke nicht!) Mit diesen Personen können wir uns dann über die Herstellung der Schere, mit dem das Schaf geschoren wurde, unterhalten, wobei wir bei der Erzgewinnung anfangen und auch den Schmied genauer anschauen werden (ich glaub' da fangen wir beim Amboss und der Esse an). Das können wir so weiter treiben und werden feststellen, dass wir wir überall und bei jedem Lücken entdecken werden. Das muss auch logischerweise so sein. Die Unmöglichkeit die gestellte Aufgabe vollständig zufriedenstellend lösen zu können ist ja auch einer der Reize an der Sache. Es geht nämlich darum, sich beständig anzunähern - wobei es wenig Rolle spielt, ob wir das für uns, für andere, zum lehren oder zum lernen tun. Das Annehmen der beständigen, unaufhörlichen Herrausforderung ist der eigentliche Unterschied zum sogenannten "Gromi". Der begrenzende, der trennende Faktor ist nicht etwa das Können, die Geister scheiden sich beim Wollen.
 
HHmmm, die Geister scheiden sich nicht beim Wollen, meine ich, sondern in der dargestellten Zeit/Region/Ort/Stand. Ob ich grob mittelalterlich darstelle(n will), oder eine ganz bestimmte Zeit an einem bestimmten Ort eine Person eines bestimmten Standes. Oder gar eine bestimmte Person. Ich kann für einen nicht genau zu definierenden Stand (meist so "einfacher Landbewohner), relativ unbestimmte Region (z.B. norddeutsche Tiefebene) und recht unbestimmte Zeit (FrühMi/HoMi) Kleidung etc suchen, die dieses abdeckt. Da gibts zwar dann auch feine Unterschiede ,-Ärmel enger weiter etc-, aber ein Durchschnitt wird sich finden lassen. Das ergibt dann einen 1A GroMi, da gibts dann keine echten Stilbrüche, wenn der bestimmte Dinge vorführt, die zeitlich, regional oder ähnliches zu zu ordnen sind. Sieht man ganz genau hin, passt da nix zusammen, aber das Gesamtbild wird doch stimmig. Und dagegen das andere Extrem, Herr von Ballenstedt , 11xx, mit allem was dazu gehört, einschließlich Anzahl des Gefolges und Bewaffnung. Nicht:"Der hätte das Schwert typ xy benutzen können" sondern "Der führte ein Schwert wie dieses einschließlich Knaufzier etc. und der hatte meist rote Beinlinge an". Sozusagen das Tafelgeschirr für ´s Heerlager aus dem selben Ton wie beim Original. Der eine macht Reenactment vom Feinsten, der andere eben GroMi, auch vom Feinsten. Und der GroMi kann dann durchaus beim Reenactor im Lager mitspielen, weil eben die Abweichungen vom Schmied dieses Herrn über Werkzeug und Schuhe sehr einfach "kaschiert" werden können. Und dann gibts eben noch Kostüm und Saufcamper, die aus Unkenntnis ihrer Möglichkeiten "Middelalder machen", Hauptsache verkleiden, Odin brüllen und ne Ordnsritterplatte an und behaupten, sie seien Templer. Weil die für ihren Campingplatz bezahlen, werden die leider von etlichen Marktveranstaltern gebucht :-(. Gut, sie füllen den Platz, belustigen das Publikum, stören des Nachts beim Schlafen und sorgen bei den Gästen für Heiterkeit....
 
Und dann gibts eben noch Kostüm und Saufcamper, die aus Unkenntnis ihrer Möglichkeiten "Middelalder machen", Hauptsache verkleiden, Odin brüllen und ne Ordnsritterplatte an und behaupten, sie seien Templer. Weil die für ihren Campingplatz bezahlen, werden die leider von etlichen Marktveranstaltern gebucht :-(. Gut, sie füllen den Platz, belustigen das Publikum, stören des Nachts beim Schlafen und sorgen bei den Gästen für Heiterkeit....
Ich bin zwar anscheinend weit vom vermeintlichen großen A entfernt (und weiß auch noch nicht ob ich da jemals hin möchte), aber diese Typen, die DU da beschreibst hasse ich wie die Pest.
 
Mit diesen Personen können wir uns dann über die Herstellung der Schere, mit dem das Schaf geschoren wurde, unterhalten, wobei wir bei der Erzgewinnung anfangen und auch den Schmied genauer anschauen werden (ich glaub' da fangen wir beim Amboss und der Esse an). Das können wir so weiter treiben und werden feststellen, dass wir wir überall und bei jedem Lücken entdecken werden. Das muss auch logischerweise so sein.
Wenigstens war das Eisenerz aus Bodenfunden... 8)
 
Ist aber ein häufiges "Argument" gegen eine möglichst authentische Darstellung, dass man ja eben den Stoff auch nicht selbst gewebt, das Schaf gar selbst geschoren habe.
Das ist aber auch ein sehr richtiges Argument. Es sollte schon das richtige Schaf sein, mit der Schere geschoren, gekämmt, gewaschen (Seife aus Schlachtfett und Asche herzustellen), gesponnen (mit der Handspindel, für spätere Darstellungen dürfen die Schussfäden mit einem entsprechenden Spinnrad gefertigt werden), am adäquaten Webrahmen (Bauart gemäß Darstellungszeit) mit Nähnadel (der Darstellung entsprechend) handgenäht. Und sobald neue Forschungsergebnisse vorliegen, wirft man das - mittlerweile falsche - Zeug weg und macht es neu, damit man es richtig hat.
Aber: Wie Martina schon richtig sagte, ich stelle auch eine historische Person dar. Und diese hätte vermutlich eher nicht ihr eigenes Schaf zuhaus gehabt und auch keinen Webrahmen (vom weiteren, also Wollverarbeitung und Spinnen, sprech ich nicht, denn das konnte jeder Haushalt machen). Eine Gesellschaft wie die des Mittelalters macht es möglich, nicht mehr jeden SChmarrn selbst zu machen, sondern auch zuzukaufen und zusammenzuarbeiten. Deshalb kann man auch mal Sachen zukaufen. Authentisch (glaubhaft) ist es nämlich nicht, jedes Teil der Darstellung selbst herzustellen, auch wenns vielleicht vom Handwerklichen und finanziellen Standpunkt interessant sein mag. Wenn ich mal die Bestandteile meiner Darstellung gemeistert hab, die zum näheren Alltag dieser historischen Person gehört hätten, wird mir vielleicht langweilig und ich nehm mich solcher Aufgaben auch selbst an. Aber solang ich beschäftigt bin, kann man da ruhig auch mal auf outsourcing zurück greifen - selbstverständlich kann man auch da gewisse standards (pflanzengefärbt, handgesponnen, handgewebt etc.) einhalten.
 
Die Versorgung mit Fremdgütern durch Handel gab es ja schon vor dem Mittelalter. Schon die Spartaner fuhren niemals griechische Autos ;) Wenn jemand diesen Spruch von "Alles selbermachen " bringt schaue ich ihm tief in die Augen und sage:" Stimmt nicht, denn die Korinthen, die hier rumliegen sind auch nicht von uns" ;) Auch hübsch: Habt ihr den Stoff selbst gewebt? Nein, das haben wir nach Byzanz outgesourced! Das gefällt mir! :D
 
Hihi, mir auch! Und das mit den Spartanern stimmt. Die bevorzugten Cardio Jogging. Ach nee, das waren die von Marathon. Aber von wem die Korinthen sind, weiß ich :rolleyes: :D
 
Nun, das Erz, so es denn vom Erzberg bei Leoben oder aus dem schwedischen Kiruna ist, handelt es sich um Lesefunde (Tagebau). Allerdings wurden wohl beide auch schon im frühen Mittelalter genutzt
 
tja, ne ...nur so am Rande: Übrigens entstanden die europäischen , heute genutzten Eisenerzlagerstätten wohl im Erdmittelalter :) Trollen vorbei
 
nö, Erzgebirge ist mehr Bronzezeit oder so ... Aber zum Thema, es wäre für mich perönlich mal interessant, Wolle von ner sehr alten Rasse in der Hand zu halten. Wie sich Wolle , handgesponnen, gestrickt, von Schnucken auf der Haut anfühlt, weiß ich noch. So eine der frühesten Kindheitserinnerungen. Das Zeug war graumeliert. Jetzt juckt schon wieder alles ..
 
Mal um aufs eigentliche zurück zu kommen, hier ein Filmzitat - frei wieder gegeben. Morgen Freeman wurde in einer seiner Rollen von einem kleinen, weissen Mädchen gefragt warum er schwarz sei... Freeman:"Weil Gott die Vielfalt liebt!" Was ich damit sagen will, es geht überhaupt nicht um Toleranz, denn die Freiheit des einen hört dauf wo die der Anderen anfäng oder besser gesagt eure Freiheit hört da auf wo meine anfängt :zunge Es geht vielmehr darum das/den Andere/n zuzulassen, den Gleichheit ist Bewegungslosigkeit - Stillstand und somit Tod, denn nur aus dem andersartigem kann Veränderung und somit Leben/Entwicklung entstehen. Ihr zieht euch hier alle an euren eigenen Kliesches hoch und merkt es nicht einmal. :kopfhau Es gibt doch genug Raum in der MA Szene und im LH und Reenaktment oder wie ihr euer hobby nennen wollt für alle! Wer braucht ein Qualitätssiegel wenn es um Spass und Hobby geht oder seid ihr alle Pros die Ihr geld damit verdienen!? Also seid alle lieb aufeinander und gut ist :knuddel schattige Grüße
 
die Freiheit des einen hört dauf wo die der Anderen anfäng
Ein oft bemühtes Zitat, weil's so schön klingt, aber eben inhatlich vollkommen leer. Denn wo genau, bitte schön, fängt denn Deine Freiheit an? Dieser Sinnspruch bringt real leider gar nichts. Meine Freiheit fängt vor Deiner Haustür an. Jawollja. Sei froh, wenn ich sie nicht noch bis in Dein Schlafzimmer gehen lasse... Ich mag ihn gar nicht, denn mit diesem Spruch tarnen sich gerne Hardliner, Überwachungsfanatiker, Egoisten und Volksverhetzer, Leute, die die Grenzen ihrer Freiheit gerne ganz besonders weit bis in meinen Privatbereich auslegen, als tolerante, freiheitliche Demokraten. (= gernelle Gesellschaftskritik, nicht auf Dich gemünzt prost1 ) Wo ich ohnehin schon mal :eek:ff2 bin: Obwohl Gott die Vielfalt liebt, hält uns das leider nicht davon ab, immer noch Menschen nur wegen ihrer Andersartigkeit zu verfolgen und sogar einzusperren. Sogar hier, in diesem ach so aufgeklärten Land. Und nicht nur von Seiten dumpfer Extremisten, sondern ganz legal, von der Mehrheit demokratisch legitimiert und getragen. :back Aber was ich, unabhängig von meiner Asympathie für diesen Sinnspruch, nicht verstehe, ist, weshalb das mit den Freiheiten nichts mit Toleranz zu tun haben sollte. Da kann ich Dir gerade nicht ganz folgen. Die Freiheiten eines anderen zu aktzeptieren und zu respektieren, sie, um den Spruch mal in seiner idealen Bedeutung zu verwenden, so weit gehen zu lassen, bis meine eigene, bescheiden ausgelegte Freiheit konkret berührt wird, jemandem Dinge zuzugestehen, die ich vielleicht nicht schön finde, die mich persönlich aber weder schädigen noch inakzeptabel einschränken, gerade das ist doch Toleranz.
 

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